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Danach fiel es mir schwer gewisse Wörter auszusprechen. Vaterland zum Beispiel. Und Führer nur in Zusammenhang mit "Museum- " oder "Reise-".

„I’m german“ oder „je suis allemande“ war bis vor kurzem fast unmöglich. Ich habe dann lieber gelogen. Dabei hatte meine Mutter mir versichert, dass niemand in der Familie „etwas getan hatte“ oder „davon gewusst hätte“. Mein Vater sei zwar Hitler­jugendführer gewesen, aber das... und sie war ja auch erst acht gewesen, als der Krieg aus war. Kinder wissen es ja nicht besser.

 

Mein Vater hatte nie über die Vergangenheit reden wollen. Ich habe wohl auch nicht gefragt. Unsere Beziehung ist sowieso eher wortlos und schwierig gewesen.

 

Merkwürdigerweise sind es aber gerade seine Worte die alles verändern. Nach seinem Tod taucht ein winziges rotes Notizbüchlein auf. „1945“ hatte er mit einem Bleistift immer wieder in den ledernen Einband geprägt. Ich spüre warum. In dem kleinen Kalender war einfach kein Platz für alle Gefühle.

Es ist das Kriegstagebuch eines gerade mal achtzehnjährigen Unbekannten der am 8.Mai 1945 begreift dass er nie zu den Guten ge­hört hatte sondern zu den Bösen. Der jedes vergiftete Wort, jede verdorbene Lüge die ihm während seiner Kindheit aufgetischt wurde unhinterfragt geschluckt hatte.

 

Aber das Büchlein handelt eigentlich auch nicht davon. Sondern vom Überleben. Ein Jugendlicher in Kriegsgefangenschaft. ZweiFluchtversuche. Der andere glückt. Es folgt ein langer, gefährlicher Marsch von Ungarn nach Hamburg.

 

Der Text ist fast unleserlich. Fast pragmatisch. Fast enttäuschend. Mein Vater dachte beim Schreiben natürlich nicht daran, auf meine fast 70 Jahre später gestellten Fragen zu antworten. Erfreulicherweise finde ich aber auch keine Spur vom Nazideutsch mit dem er als Heranwachsender täglich bombardiert wurde:

geliebter Führer, gerechter Krieg, rechtmäßiger Lebensraum, Herrenvolk, Rassenschande, Endsieg...

Stattdessen wimmelt es nur so von Kamerad und Kameradschaft. Der fremde Junge interessiert mich. Ich will mehr von ihm wissen. Stelle Nachforschungen an. Stelle Fragen. Fragen, die in der damaligenGegenwart nicht gestellt wurden. Die auch wir uns in der jetzigen selten stellen.

Gegenwart wird so verdammt schnell Vergangenheit. Und dann –mit dem Fazit der Geschichtsschreibung in der Hand– sind wir plötzlich immer klüger. Und nehmen uns das Recht zu urteilen, zu verurteilen.

 

Diese Arbeit entschuldigt aber nichts und niemanden.

„Vaterland“ ist ein ausschließlich künstlerischer Versuch eine alternative Vergangenheit in einer parallelen Wirklichkeit zu zeigen.

Ein ganz persönliches Friedenschließen mit meinem Vater, meiner und der deutschen Geschichte.

 

Katrin Jakobsen

Hier ein Interview mit der Künstlerin auf YouTube

Kurze Erklärung zum Projekt

 

Es waren die Schwarzweißfotos von Bergen. Schuhberge, Kofferhöhenzüge, Skelettgebirge. Wie viele Goldzähne braucht man für einen Hügel? Die mit einem Mal schonungslos vergangenheitsbewältigenden Geschichtsbücher der siebziger Jahre schrien: Schau genau hin! Daran sind wir Schuld!

Ich gebe zu, mein Verhältnis zur deutschen Geschichte, also die Zeit von 1933 bis 1945, ist gestört. Ich wurde zwarlange nach Kriegsende geboren, bin aber doch gebrandmarkt.

 

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